Stella und der Koch

 

 

produziert ORF 2010

Regie: Eva Garthe,  Musik: Philip Scheiner, Tongestaltung: Katharina Böhm, Anna Kuncio

mit Christiane von Pölnitz (Stella), Cornelius Obonya (Koch), Roland Koch( Paul), Silvie Fenz und Gerti Drassl (Orakel der Fische)
 

 

„Sie kochen auf allen Kanälen. Manche allein und schweigend, andere laden sich Gäste ein und sind nie um einen flotten Spruch verlegen. Kochen ist in. Kochshows boomen. Und da die charmanten und häufig gut aussehenden Fernsehköche gern mit allein gelassenen Hausfrauen flirten, wetzen sie bereits am frühen Vormittag ihre blitzenden Messer. 

Stella, seit 16 Jahren verheiratet und emotional ein wenig unterfordert, verliebt sich jeden Morgen ab neun. Ihren Mann hat sie mit Küsschen/Küsschen ins Büro verabschiedet, und schon legen sich "die blauen Augen des Kochs" auf sie. Er fordert sie auf, die obersten Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen. Er erzählt ihr von seinen Frauen und von den Schattenseiten seiner prominenten Existenz. 

Die österreichische Autorin Patricia Brooks verwischt in ihrem ersten Hörspiel geschickt die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Dass manche TV-Zuseher und Zuseherinnen mit ihren Fernsehlieblingen sprechen, ist bekannt. Ein tatsächlicher Liebesdialog - während kunstvoll Fische ausgenommen und Krebse ins siedende Wasser geworfen werden - bleibt freilich allein dem Hörspiel vorbehalten.“

Ö1

 

 

Textauszug:

 

Stella: 8.00 h Der Wecker läutet. Ich stehe auf. Paul bleibt noch liegen während ich ins Bad gehe, mir das Gesicht wasche, die Zähne putze und mich anziehe.
 
Das Orakel der Fische (1)
Und du gehst hinunter ans Ufer und vernimmst das Orakel der Flussbarsche, so ein Schwärmen am Morgen, diese Irokesen, wie sie fischbäuchig über dampfenden Erdspalten hocken, diese Plappermäuler, diese Fernsehfische, diese halluzinierenden Wasserratten: drei Leben hat der Fisch, und Blut fließt über den Tisch, shalala lalala lali, singen sie, und sie wedeln herzzerreißend mit den roten Flossen. Du weißt, wenn du ihnen den Rücken zukehrst, werden sie dir mit dem Angelhaken das Herz herausreißen.
 
Stella: Unten in der Küche schalte ich den Fernseher ein. Wir haben eine geräumige Küche mit Essplatz und Blick auf den Garten. Ich decke den Tisch fürs FrühstücKoch: Kurznachrichten. Fetzen von Sturmfluten aus einem anderen Winkel der Welt schwappen an mein Ohr und verlaufen sich, heiter und windig in lokalen Wetterprognosen. Mich interessiert das nicht. Ich falte Servietten, lege Messer darauf, stelle Teller, Butter, Käse und Marmelade auf den Tisch, toaste das Weißbrot, mache 2 Tassen Kaffee. Wie jeden Tag. Und ich warte. Sobald aus dem Fernsehapparat die Kennmelodie ertönt, klopft mein Herz vor Freude. Die Fernsehkochshow. Paul kommt herein, küsst mich auf die Stirn und nimmt mir gegenüber Platz.
 
Paul: Guten Morgen, Stella.
Stella: Morgen. Gut geschlafen?
Paul: Es geht. Gibst du mir bitte mal die Butter. Danke.
 
Stella: Auf dem Bildschirm erscheint lächelnd der Koch ohne Unterleib, und nickt mir verstohlen zu.
 
Stella: Der Toast ist mir heute zu dunkel geraten.
Paul: Der ist wunderbar. Knusprig.
Stella: Zu hart.
Paul: Ich hab das gern so
Stella: Na dann werde ich ihn morgen ganz verbrennen.
Paul: Stella!
Stella: Ist ja nur Spaß. Möchtest du Käse?
 
Stella: Paul und ich sind seit 16 Jahren verheiratet. Wir haben keine Kinder. Und das ist gut so. Unsere Ehe ist eine stille Bucht, ein verschwiegener Winterhafen, in dem zerbrechliche Boote träumend schlafen.
 
Koch: Zuerst muss der Fisch geschuppt werden. Schneiden Sie die Bauch-, Rücken- und Afterflossen mit einer Küchenschere möglichst tief am Ansatz ab. Danach packen Sie den Fisch am Schwanz und schuppen mit dem Messerrücken in Richtung Kopf.
 
Paul: Ach Stella, kannst du das nicht einmal abdrehen.
Stella: Was?
Paul: Diesen Koch im Fernsehen.
Stella: Wieso?
Paul: Er geht mir auf die Nerven. Jeden Morgen das gleiche.
Stella: Er kocht doch immer etwas anderes.
Paul: Aber er kocht. Das genügt.
Stella: Was soll er sonst tun? Schließlich ist das sein Beruf.
 
Koch: Zum Ausnehmen schneiden Sie dem Fisch mit einem scharfen Messer den Bauch auf. Drehen Sie den Fisch dazu auf den Rücken und stechen das Messer in die Afteröffnung.
 
Paul: Ich verstehe nicht, weshalb du dir das ansiehst
.
Koch: Nun die Bauchhöhle behutsam bis zum Kopf öffnen. Damit die  Eingeweide nicht verletzt werden, führen Sie das Messer möglichst flach.
Stella: Es gefällt mir.
Paul: Was?
Stella: Das Kochen.
Paul: Du kochst doch gar nicht gern!
Stella: Nein, aber ich sehe gern dabei zu. Ich finde es hoch interessant was, der Koch da macht. Mit dem Fisch zum Beispiel?
Koch: Jetzt die Bauchseiten auseinander ziehen und mit den Fingern die Eingeweide entweder an der Afteröffnung oder am Schlund lösen. Achten Sie darauf, dass die Galle nicht verletzt wird. Die bittere Gallenflüssigkeit kann den Fisch ungenießbar machen.
Paul: (seufzt) Kannst du es mir zuliebe wenigstens ein bisschen leiser drehen?
Stella: Ja sicher.
 
Stella: Paul hat sich in den Jahren unserer Ehe nicht verändert. Er ist immer noch der freundliche, zuverlässige, gutaussehende Mann, den ich damals geheiratet habe. Nicht einmal sein Haar ist nennenswert grau geworden Immerhin geht er auf die 50 zu. Paul strahlt jene Art von Männlichkeit aus, die nichts mit Abenteurern und Buschpiloten zu tun hat - unverschämtes Grinsen, Staub, Schweiß und Motoröl -, sondern mit tadellos sitzenden Anzügen, extraflachen Armbanduhren und einem guten Zahnarzt. Ja, in diesem Punkt ist Paul im Laufe der Jahre noch kostbarer geworden. Ein ausgesprochener Glücksfall!
 
Koch: Wenn Sie die Gallenblase versehentlich doch angestochen haben, waschen Sie den Fisch unter fließendem Wasser rasch und gründlich auStella:
Stella: Wirst du heute spät nach Hause kommen?
Paul: Weiß nicht. Ich rufe dich an.
Stella: Ich möchte abends kochen...Fisch?
Paul: Mach dir keine Mühe.
Stella: Ich mach mir gerne Mühe. Forelle? Zander? Blau oder nach Hausfrauenart?
Paul: Stella?
Stella: Hmm?
Paul: Hast du dir eigentlich überlegt, ob du nicht wieder arbeiten gehen magst?
Stella: Wie kommst du jetzt darauf?
Paul: Versteh mich jetzt nicht falsch, aber ich habe den Eindruck, dass du dich langweilst.
Stella: Du bist ja den ganzen Tag im Büro. Woher willst du wissen, ob ich mich langweile.
Paul: Der Koch.
Stella: Was?
Paul: Der Koch.
Stella: Was hat der Koch damit zu tun, ob ich mich langweile?
Paul: Du wärst früher nicht im Traum auf die Idee verfallen, dir Kochsendungen im Fernsehen anzusehen.
Stella: Na bitte, da siehst du, was einem nicht alles entgeht.
Paul: Stella, lass uns doch vernünftig darüber reden.
Stella: Ja gut. Aber nicht jetzt. Der FischfondStella: Ich darf den Fischfonds nicht verpassen. Bitte Paul!
 
Koch: Zwiebeln schälen, würfeln und in Butter glasig dünsten. Mit Weißwein ablöschen. Petersilie und Pfefferkörner hinzufügen. Mit Wasser aufgießen. Fischgräten und Fischköpfe hinzugeben und dreißig Minuten kochen.
 
Stella: Paul legt den Arm um meine Schulter und drückt mich ein wenig. Er ist ein guter Mensch. Davon bin ich fest überzeugt. Der Koch belauscht uns. Er zieht die Augenbrauen hoch, hält das Kochmesser in die Kamera und deutet auf die glatte, beidseitig geschliffene Klinge. Ich verstehe die Botschaft, aber ich ignoriere ihn. Er soll ruhig ein bisschen leiden. Ja, ich lege noch ein Schäuflein nach. Fasse Paul am Ärmel seines Hemdes, ziehe ihn zu mir herunter und küsse ihn. Mit der Zunge. Damit es sich auszahlt. Ich kann das gut. Wirklich. Ich spüre Pauls Körper, der wie Wasser auf mich zufließt.
 
Paul: Stella, jetzt nicht.
Stella: Hmm.
Paul: Ich muss ins Büro.
Stella: Dann geh.
Paul: Lass das Stella. Nimm die Finger da weg.
Stella: Na gut. Wenn du das willst.
Paul: Nein, ich will es nicht. Aber ich habe in einen Termin?
K: Die lebenden Krebse werden unter fließendem Wasser kräftig gebürstet und gewaschen. Stellen Sie einen großen Topf Wasser mit Salz und Kräutern zum Kochen auf.
 
Stella: So oder so ähnlich, nach diesem Muster, laufen unsere Morgen beim Frühstück ab. Seit einem halben Jahr. Seit ich diese fabelhafte Kochsendung entdeckt habe. Paul ist sexuell erregt, der Koch schäumt vor Wut und ich bin rund herum glücklich.
 
 Koch: Sobald das Wasser kocht werfen Sie die Krebse einzeln mit dem Kopf voran in den Topf. Warten Sie zwischendurch, bis das Wasser wieder siedet, bevor sie den nächsten Krebs dazugeben. Nur so können Sie sicher sein, dass die Tiere auf der Stelle getötet werden.
 
Stella: Nachdem Paul gegangen ist, stehe ich vom Tisch auf, nehme meinen Kaffee, und mach es mir vor den Fernseher gemütlich.
 
Koch: Die Krebse zugedeckt bei schwacher Hitze ca. 10 Minuten kochen,  ¼ l Wein hinzufügen und weitere 10 Minuten ziehen lassen.
 
Stella: Die blauen Augen des Kochs legen sich auf mich. Ich lächle ihn an. Und er setzt diese freundlich nachsichtige Miene auf, die mir zu verstehen gibt, dass er bereit ist, mir alle Sünden in der Küche zu vergeben.
 
K: Hallo Stella. Wie geht es dir heute?
Stella: Danke. Gut geht es mir.
K: Fein.
Stella: Ja. Das finde ich auch.
Koch: Und?
Stella: Was und?
Koch: Hast du mir nichts zu sagen?
Stella: Ich habe dir eine Menge zu sagen.
Koch: Ach ja?
Stella: Ja. Aber glaube mir, du willst das gar nicht alles wissen.
Koch: Na schön. Trotzdem musst du mir jetzt wenigstens berichten, ob dir gestern Abend die Forelle auf Müllerinart gelungen ist.
Stella: Nein.
Koch: Weshalb nicht?
Stella: Weil ich keine Forelle auf Müllnerinart zubereitet habe.
Koch: Aber Stella? Ich habe es dir gezeigt: die Forelle mit Zitronensaft beträufeln, salzen, mit Mehl bestäuben und in Butter braten. Es ist doch so einfach.
Stella: Mag sein.
Koch: Wie hast du sie denn gemacht.
Stella: Gar nicht, ich habe keine Forelle gebraten.
Koch: Sondern?
Stella: He, was soll das? Ist das ein Verhör?
Koch: Ich will wissen, was du gekocht hast. Mehr nicht.
Stella: Das geht dich nichts an.
Koch: Das geht mich sehr wohl etwas an. Schließlich mühe ich mich ab, damit ich dir das Kochen beibringe.
Stella: Also gut. Tiefkühlpizza. Mit Schinken und Käse. Bist du jetzt zufrieden?
Koch: Ach Stella! ?.
Stella: Na bitte! Ich habe ja gleich gewusst, dass dich das aufregt.
Koch: Wozu sitzt du dann überhaupt hier bei mir, wenn du dir nichts beibringen lassen willst.
Stella: Ich habe so meine Gründe.
Koch: Ach, und die wären?
Stella: Das verrate ich dir nicht.
Koch: Kann es sein, dass du mit mir flirtest?
Stella: Sehe ich so aus?
Koch: Ja.
Stella: Na, du musst es ja wissen.
Koch: Und ob ich das weiß. Ich kenne dich und deinesgleichen.
Stella: Meinesgleichen?
Koch: Was glaubst du wie viele einsamen Frauen es gibt, die vor dem Fernseher sitzen?.
Stella: Keine Ahnung.
Koch: Hunderte, Tausende, was weiß ich.
Stella: Und die warten alle auf dich?
Koch: Denkst du sonst würde man um 9. 00 h in der Früh eine Kochsendung im Fernsehen bringen.
Stella: Es soll ja auch Männer geben, die um 9.00h in der Früh fernsehen.
Koch: Die sehen sich keine Kochsendungen an.
Stella: Ich verstehe.
Koch: So ist es brav.
Stella: Und du meinst, ich bin auch so eine?
Koch: Ja, so eine bist du auch.
Stella: Ich bin verheiratet.
Koch: Dein Mann ist eine Schlaftablette.
Stella: Oh, er bezahlt die Fernsehgebühr. Und finanziert damit deinen Job. Vergiss das nicht.
Koch: Na und, ich kann ihn trotzdem nicht leiden.
 
Das Orakel der Fische 2
Da kommen sie ans Ufer geschwommen, schon von weitem kannst du sie hören. Diese Suppenfische, ein silbriges Raunen und Unken, ein anschwellender Gesang. Alge rot, Alge grün, wächst in unserem Garten, unsere Lise ist die Braut, mag nicht lang mehr warten, zirpen sie mit gespitzten Lippen und setzen sich den Brautschleier auf das Köpfchen. So ein schrilles Kichern hinter vorgehaltenen Flossen, ein Maulen und Munkeln, und du fragst dich, was das nun wieder zu bedeuten hat.