Die Presse

01.08.2015

 

Arbeit am Kuss, stundenlang

 

Patricia Brooks schrieb eine meisterhafte Paarstudie.

Von Janko Ferk


Der namenlose Ich-Erzähler ist „Ende dreißig“, sozusagen im besten Mannesalter, und dennoch verlässt ihn seine Partnerin Silvie mehr oder weniger ohne großes Ankündigungs- oder Abschiedsritual. „Mit einem Mal wird mir klar, dass da eben etwas geschehen ist. Wahrscheinlich hat jede Beziehung ein Ablaufdatum, an dem ihr inneres Feuer allmählich zu einer Notbeleuchtung herunterbrennt.“ Vermutlich hat der Verlassene, der auf die „Umsetzung von komplexen Internet-Applikationen spezialisiert ist“, also Software-Programme schreibt, einfach zu viel Zeit in der digitalen und zu wenig in der Welt mit seiner Freundin verbracht.

Nach Silvies Abgang wird er in eine Reihe merkwürdiger Ereignisse hineingezogen, die ihn immer tiefer in einen Zustand der Erschöpfung treiben. Die Ex-Freundin fliegt indes aus beruflichen Gründen nach New York, naturgemäß nicht ohne fremde männliche Begleitung. Ein wohlhabender und Golf spielender Zahnarzt hat es ihr angetan. Der Ich-Erzähler dagegen zieht sich in das Salzkammergut zurück, wo er in Ruhe ein Computerspiel programmieren will und unter rätselhaften Umständen eine attraktive Tänzerin kennenlernt, die sich in ihn verliebt.


„Alles ist aus den Fugen geraten.“ Es reiht sich Merkwürdigkeit an Merkwürdigkeit. Dinge verschwinden spurlos. Verlorenes taucht auf. Geführte Gespräche scheinen nie stattgefunden zu haben. Die Tänzerin wird von einem mysteriösen Fremden verfolgt. Und das Computerspiel hat einen unerklärlichen Steuerungsfehler, der sich trotz intensiver Bemühungen nicht korrigieren lässt.
In der „Grammatik der Zeit“ spielt das Zeitgefüge scheinbar verrückt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschieben sich, zumindest für den Ich-Erzähler, nicht aber für die Leserin und den Leser, zumal Patricia Brooks die Architektur der Zeitebenen meisterinnenhaft beherrscht, wie in diesem Buch schlechthin alles stimmt, nämlich die Erzählung, deren Sprache, die Charakterisierung der Figuren und sogar die mit Distanz geschilderte Erotik.

„Nicht der beste Sex“
Der Beziehungsroman ist mitten aus demLeben geschrieben, authentisch und nachvollziehbar. Viele Paarthemen werden angesprochen, der Kinderwunsch, die Untreue, der Verrat und die „unterschiedlichen Erfahrungen damit“, das Scheidungsverfahren, das viel zu lang dauert, das japanische Lokal, das nicht gefällt, sogar „ein Hauch von chemischer Putzerei steigt in die Nase“, der Alltag eines Paares, das nicht mehr miteinander kann.


Patricia Brooks ist eine absolute Beobachterin, die gekonnt und genau schildert. Die Art, wie sie mit der Sprache umgeht, hat durchaus etwas Lustvolles an sich, nicht nur, wenn sie festhält: „Mit jemandem das erste Mal zu schlafen, ist sicher nicht der beste Sex.“ Das Buch ist nicht zuletzt eine exakte psychologische Studie des Auseinanderlebens und Verlassenwerdens. Ein Handbuch aus der heutigen Zeit der Lebensabschnittspartnerschaften, in die meist ein Dritter oder eine Dritte einbrechen. Davor aber „konnten wir uns stundenlang küssen, bis unser Kinn rot und wund war, ohne dass wir genug bekamen“.


Die Wendung, die der Roman auf den letzten Seiten nimmt, ist mehr als überraschend, klingt gleichsam nach Happy End und ist dennoch glaubwürdig beziehungsweise überzeugend.
Patricia Brooks ist eine große österreichische Schriftstellerin.

 

 

 

 

Tiroler Tageszeitung

20.07.2015

 

In der weißen Zone: „Die Grammatik der Zeit“ von Patricia Brooks

Von Ewald Baringer


Als wäre zwischen mir und meinen Gefühlen ein Leerraum, eine weiße Zone:“ In ihrem neuen Roman „Die Grammatik der Zeit“ entwirft Patricia Brooks das Bild eines erfolgreichen Enddreißigers, dessen Wahrnehmung auf merkwürdige Weise in Verstörung mündet.


Eine „Grammatik der Gefühle“ hat der deutsche Psychoanalytiker Tilmann Moser 1979 vorgelegt - als Studie über die emotionale Entwicklung der ersten Lebensjahre. Bei der in Wien geborenen, in Klosterneuburg lebenden Autorin ist ein namenloser Ich-Erzähler der „Grammatik der Zeit“ auf der Spur: einerseits in Form eines von ihm programmierten Computerspiels, das einen Steuerungsfehler aufweist, dessen Ursache er nicht andet, andererseits angesichts seines konfusen Privatlebens, „ein Plot, der aus dem Ruder zu laufen droht“.


Seine Freundin Sylvie hat ihn verlassen, was er mit seltsamem Gleichmut zur Kenntnis nimmt. Eine mysteriöse Tänzerin tritt in sein Leben, das von zunehmender Verunsicherung geprägt ist: Drehen alle rundum durch, oder verliert er selbst den Verstand? „In der digitalen Welt läuft es für mich besser als in der echten“, lautet eine der seltenen Selbsterkenntnisse, die gelegentlich aphoristische Bonmot-Qualität erreichen: „Wahrscheinlich hat jede Beziehung ein Ablaufdatum, an dem ihr inneres Feuer allmählich zu einer Notbeleuchtung herunterbrennt.“


Um Gefühle geht es also auch hier - und um die (Un-)Fähigkeit, mit ihnen umzugehen, sowie um das (Un- )Verständnis für daraus resultierende Probleme. Unser Erzähler wird diesbezüglich nicht sonderlich von Selbstzweifeln geplagt: Probleme kommen von außen, also von den anderen. Tilmann Moser hat er sicher nicht gelesen. Aber Watzlawick lässt kurz grüßen: „Die Wirklichkeit ist eine Möglichkeit, die durch Zufall oder durch eine Entscheidung aus der Möglichkeitsform in eine Wirklichkeitsform übertragen wird. Vielleicht ist sie auch nur eine Behauptung?“


Dabei kommt die enigmatische Geschichte gar nicht so philosophisch abstrakt daher, sondern sehr erzählfreudig. Als Leser erfährt man allerlei ausgiebige Details über den Freundes- und Bekanntenkreis des Protagonisten, sein berueiches und soziales Umfeld, sogar seine kulinarischen Vorlieben. So liest sich denn das Buch von der ersten bis zur letzten Seite mit dem Suchtfaktor von Knabberzeug: ein Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Leider sind dem Lektorat zahlreiche Beistrichfehler und sonstige Flüchtigkeiten entwischt.


Am Ende der Lektüre teilt man mit dem Erzähler die Ungewissheit darüber, was denn nun wirklich vorgefallen ist, denn etliche Begebenheiten lassen sich nicht mehr mit rationalen Mitteln erklären. Dinge verschwinden, Verlorenes taucht auf, Stattgefundenes wird infrage gestellt, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft verschwimmen. Die Ausgangssituation wiederholt sich letztlich unter offenkundig besseren Vorzeichen, ganz
als gebe es eine zweite Chance. War alles davor ein kathartischer Traum, oder entspringt der vage optimistische Schluss bloß einem Wunschtraum - trotz ungelöster Rätsel ist man versucht, ersteres zu hoffen.

 

 

 

Kurier

21.06.2015

 

Die Grammatik der Zeit von Patricia Brooks (Verlag Wortreich): Ohne Vorwarnung beendet Silvie die Beziehung und fliegt nach New York. Als sich der verlassene Ich-Erzähler ins Salzkammergut zurückzieht, lernt er unter rätselhaften Umständen Carlos kennen. Das Verhalten der Tänzerin, die von einem mysteriösen Fremden verfolgt wird, wird immer seltsamer. Dinge verschwinden und Gespräche scheinen nie stattgefunden zu haben. Bricht gar das Zeitgefüge auseinander?

 

 

 

Buchblog

21.05.2015

 

Von Christian Kröger

Seltsame Dinge geschehen im Leben des Ich-Erzählers. Nachdem ihm seine langjährige Freundin eröffnet hat, ‘daß ihre Beziehung ohne Zukunft sei und sie ihn verlassen werde’, gerät er in eine Phase der Antriebslosigkeit und der zunehmenden Erschöpfung.

Doch als wäre diese Hiobsbotschaft nicht genug, ist er sich nun auch seiner Selbst und seines Geisteszustandes nicht mehr gewiss. Dinge verschwinden spurlos. Verloren Geglaubtes taucht wieder auf. Er erinnert Gespräche, die nie statt gefunden haben und dergleichen mehr.

So versucht er, dessen Beruf als Programmierer und Firmeneigner ohnedies Stress genug birgt, im Salzkammergut im Haus einer Jugendfreundin, Abstand zu gewinnen.

Dort, bei einem seiner Spaziergänge, trifft er auf eine mysteriöse junge Frau. Die, leicht verletzt, einen somnambulen Eindruck erweckt und ihm, nachdem sie die Nacht zusammen verbracht haben, gesteht, ‘dass ein geheimnisvoller Fremder ihr folge und sie sich bedroht fühle’.

Der Beginn einer Kette von rätselhaften Ereignissen.

Patricia Brooks hat ein Buch geschrieben, dass von den ersten Zeilen an, eine Sogwirkung entfaltet, der die LeserIn sich nicht zu entziehen vermag. Ein spannendes Vexierspiel allererster Güte.

http://blog.tyrolia.at/index.php/2015/05/tyrolia-buch-tipp-die-grammatik-der-zeit-von-patricia-brooks/

 

etcetera

Oktober 2015

Spiel mit der Wahrheit

von Klaus Ebner

 

Im jungen Wiener Verlag veröffentlicht die 1957 in Wien geborene Autorin den Roman "Die Grammatik der Zeit". Ein Buch, das Leserinnen und Leser von der ersten Seite an in seinen Bann zieht und eine Beziehungsgeschichte präsentiert, deren Facetten so unerwartet wie ungewöhnlich sind.

Diese Geschichte wird aus der Perspektive eines männlichen Ich-Erzählers dargeboten. Eine Autorin schreibt also aus der Sicht eines Mannes - was in der Literatur also schon so oft schief ging, gelang Patricia Brooks hier bravourös. Ja, das ist eindeutig ein Mann der hier spricht. Die Autorin schlüpft in pefekter Weise in die Haut der Erzählers, den soeben die Lebensgefährtin, Silvie, verlassen hat und der den Hauptteil seiner Zeit mit der Entwicklung und Wartung von Softwareprogrammen im mit einem Zweiten geführten Unternehmen verbringt. Im Haus einer Freundin im Salzkammergut untergebracht lernt der Erzähler die Tänzerin mit dem Männernamen Carlos kennen, und sie scheint als unvorhergesehener Faktor das Leben durcheinanderzubringen. Oder das Spiel?

Neu ist nämlich die Entwicklung eines Computerspiels, die dem Erzähler am Herzen liegt. Er möchte einmal "etwas anderes machen", so wie auch Silvies Auszug aus der gemeinsamen Wohnung eine andere Situation schafft. Und Carlos könnte vielmehr damit zu tun haben als ursprünglich gedacht. Im Lauf des Romans scheinen allerdings die Grenzen zwischen dem Spiel und der erzählten Wirklichkeit zu verschwimmen. Erlebtes könnte der Phantasie entspringen, Immaginäres entpuppt sich als Realität.

Das Buch spielt mit der Zeit ebenso wie mit dem Gedanken von Parallelwelten. Dem Erzähler - bzw. der Erzählerin Patricia Brooks - zu folgen, ist ein überaus spannendes Erlebnis und ein gelungener Auftakt für einen neuen Literaturverlag.

 

KUNO

09.06.2017

Gespenster-Roman

von Matthias Hagedorn

 

Seit ihrem Roman   Kimberly  geht es der Autorin um die Verteidigung des Subjekts in seiner Auflösung, dies setzt sich auch in ihrem Gespenster-Roman   Die Grammatik der Zeit fort. Ihr Erzählstil ist einfühlsam und berührend, gleichzeitig aber auch kühl und distanziert, eine eher leidenschaftslose Prosa, die es aber wunderbar versteht, Atmosphäre zu schaffen. Sie beleuchtet in Romanform das Spannungsfeld zwischen Literatur und Leben detailliert und intensiv. Der Leser rückt auf diese Weise nahe an die Figuren heran, spürt deren Unbehagen, das sich aus unmittelbaren Begegnungen speist und nicht sogleich in eine biographische Entwicklung eingeordnet ist. Um den klaustrophobischen Effekt abzumildern, den solche Szenen zeitigen können, nutzt Brooks die Schauplätze der Geschichte voll aus. Wir lernen Transit–Orte kennen, vorzugsweise Restaurants oder Bars, mehrere Hauptfiguren, die in einem Spannungsfeld von Lethargie und Aggression leben, die auf die Sterilität und Oberflächlichkeit des Arbeits– und Soziallebens hinweisen, alle Figuren sind auf der Suche nach dem verlorene Selbst und der vergebliche Suche nach Sinn und Freiheit. Brooks legt Erinnerungsfährten, konstruiert Gedächtnisinventare. Namen, Orte, Daten. Die Aufzählung klingt wie eine Rekonstruktion, die sich auch als leiser Horrorfilm lesen läßt. Der Mittelstand in Österreich: Widergänger.