Rudolf Kraus

22. November 2024

BücherSchau 233

 

 

„Lunapark“ ist ein Vergnügungspark, ein Abenteuer, ein Adrenalinwald, wo in erster Linie der Augenblick zählt. Aber nicht nur das ist der Autorin Patricia Brooks in den 63 Gedichten dieses Gedichtbandes wichtig, nein, sie entwirft einen Luna Park des Lebens.
Aber auch die Lebenslust kommt nicht zu kurz und die Sprache hebt zeitweise ab wie in der Achterbahn oder streift wie ein schattenhaftes Spinnennetz in der Geisterbahn dein Gesicht.
„die Fische poltern / als würden Geister sich vermählen / lovely lovely words / luftig mit dem Wind / fliegen sie davon“
Die Autorin Patricia Brooks wurde in Wien geboren und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Sie schreibt Romane, Lyrik, Hörspiele und Radiostücke. Sie ist künstlerische Leiterin des interdisziplinären Performance-Projekts Radio rosa, das sie in Kooperation mit der GAV realisiert hat.
Ihre Gedichte haben etwas Zauberhaftes, bei allem Realitätssinn, sie schweben manchmal, dann stehen sie wieder fest auf beiden Beinen auf der Erde.
„erzähl mir ein Gedicht / für jedes Haar, das du / dir abgeschnitten und / für mich aufgehoben hast // ich schlafe nicht gerne allein“
Die Menschen in den Gedichten sind weitgereist, kreativ, aber auch Suchende, Liebende und Fragende. Die Welt ist im Umbruch, Krieg, Klimawandel, Gewalt und diverse Krisen erschüttern die Erde nachhaltig, da tut es gut auch einmal in ein Ringelspiel zu steigen und für kurze Zeit nur die pure Lebensfreude zu genießen.
Dazu lädt Patricia Brooks ein, in diesen, ihren Luna Park einzutauchen:

„… ergötzt die Fische / die Zauberlehrlinge und / Trüffelträumer / mit uraltem Herzen / Spuk und Sperling / an der langen Leine / Charlotte zählt Schäfchen / und flüstert die Kirschen rot / klingonisch natürlich“

Was für eine wundervolle Poesie1, die einem nicht so leicht loslässt.

 

 

 

 

Nicole Streitler-Kastberger liest Patricia Brooks’ Luna Park

Digitale Schläfrigkeit

31. Oktober 2024

https://www.poesiegalerie.at/wordpress/2024/10/31/streitler-kastberger-besprechung-brooks-lunapark/

 

 

Patricia Brooks hat bereits eine Reihe von Büchern vorgelegt, vor allem Romane und Kurzprosa. 2022 erschien der Gedichtband Bukarest Bistro, 2023 der Roman Flussgeister, und nun 2024 der Gedichtband Luna Park. Das Cover – auf dem der Titel seltsamerweise zusammengeschrieben wird – ziert eine Aufnahme des Brighton Pier, mit dem ich selbst sehr schöne Erinnerungen verbinde: 16 Grad und leichter Nebel im August, meine fünfjährige Tochter gewinnt das Delphin-Rennen gegen eine Reihe von Erwachsenen. Der Park spielt aber im Gedichtband kaum eine Rolle, er ist nur der Titel eines der Gedichte. In diesem lesen wir: „ja, meine Hochzeit / ergötzt die Fische / die Zauberlehrlinge und / Trüffelträumer“. In dieser Tonart erklingt vieles in dem Band.

 

Brooks’ Gedichte sind gekennzeichnet von einer sprachlichen Verspieltheit, die sich an gesuchten Wörtern „ergötzt“. Es sind keine Wortspiele im eigentlichen Sinn – auch wenn sich solche auch in dem Band finden –, ich würde es eher als Wort-Verspieltheit bezeichnen, die dem einzelnen Wort im Gedicht oft größere Bedeutung beimisst als dem Sinnzusammenhang.
Cover © Edition fabrik.transit

Allerweltsgeschichten
Dem Band ist eine Art Vorwort beigegeben. In diesem erklärt die Autorin, dass der Band 63 Gedichte umfasse und dass er von Menschen handle, „die in Anbetracht einer aus den Fugen geratenen Welt, in der es so schwierig geworden ist, Halt und Sicherheit zu finden, in einem wippenden Zustand zwischen Klarsichtigkeit und Illusion leben“; in diesem Zustand „begegnen sie der Welt mit einer unerschütterlichen Freude am Lebendigsein“. Das ist programmatisch zu verstehen. Dementsprechend ist ein Großteil der Texte auch von einer grundsätzlichen „Freude am Lebendigsein“ gekennzeichnet, die sich in einer Sprachlust äußert, die fast maschinell Wörter und Bilder fabriziert. Dabei kommt ein spezifischer Sound zustande, ein fast gehetztes Galoppieren durch Sprachwelten. So etwa im Gedicht „Donnerstagebuch“:
im Mund ein Geschmack
von Kaffee und Asche
wir streifen die Worte ab
Postings im Spinnennetz
digitale Schläfrigkeit
Hipster-Austern
und mein bleiches Herz
winterlich fühlt sich das an
immer, immer
siehst du das nicht
Plauderdiebe stolpern
durch die Tropfennacht
schwarzer Regen klopft
im Takt an die Tür
scht, scht,... wir sind hier
Donnerstag Abendmahl

… und kein zusätzlicher Text
Es sind durchaus Erkundungen des Alltäglichen, die Brooks in ihren Gedichten unternimmt. Unter „digitaler Schläfrigkeit“ leiden wir ja letztlich alle, wegen der ganzen lästigen „Postings im Spinnennetz“. Das zitierte Gedicht, das schon im Titel ein gelungenes Wortspiel enthält, ist symptomatisch für den Band. Es enthält Bruchstücke aus dem Alltagsleben, die mit besonderen Wörtern rhetorisch verbrämt sind, Ausschnitte aus dem Leben der Digital Natives.
Vielsprachigkeit
Zur Verspieltheit des Bandes gehört auch die Durchflutung der Texte mit Fremdsprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch etc. Die Autorin ist offensichtlich polyglott und lässt das auch in die Texte einfließen. Man muss das nicht mögen. Nicht jeder und jede verfügt schließlich über die Fähigkeit, alle diese Codes zu dekodieren. Der Mehrwert ist dann fraglich. Es gehört aber wahrscheinlich zum Charakter und auch zur Besonderheit dieser Autorin, dass sie in vielen Sprachen denkt. Und so gehen diese auch in ihre Texte ein. Zwei Gedichte, die gänzlich auf Französisch verfasst sind („J’adore tous mes alors“ und „Le weekend“), werden im Anhang in deutscher Übersetzung wiedergegeben. Gut. Kann man machen. Viele fremdsprachige Stellen bleiben aber unkommentiert. Kann man natürlich auch machen. Manchmal finde ich die Sprachmischung auch sehr gelungen, so etwa in der ersten Strophe von „Glücksritt“:
Kilometer 0 im schlanken
Schwanken der Kakaobohnen
auf den Spielautomaten
Charlotte langweilt sich
im virtuellen Raum Slotmachine
how to do 5 Früchte
die Kirschen bringen Glück
Patricia Brooks hat das Zeug dazu, eine Autorin des Global Village zu sein. Wenn die Marsmännchen kommen, kann man ihnen die Texte von Brooks vorlegen, als Ausweis einer Kultur, die vieles in sich aufgenommen hat, die getragen wird von einer prinzipiellen (auch sprachlichen) Grenzenlosigkeit, einer kulturellen Vielfalt und Vielsprachigkeit.


Kurz gesagt
Der Band enthält, das muss auch gesagt werden, viele schöne Stellen, vor allem dort, wo die Autorin ganz kurz und konzis wird, etwa im Gedicht „Was soll ich dir über mich sagen?“.
ich bin der Morgen
der ins Haus kommt

und der Abend
der die Türe schließt
Das ist gelungen und originell. Auch die letzte Zeile des „Analog Room“: „ich schlafe nicht gerne allein“ ist gut und pointiert gesetzt. Schön auch die Miniatur „Drüben (tableau vivant)“:
das Licht ist an
die Luft vibriert
im Fenster gegenüber

die Landschaft einer Familie

unruhiges Kind
will doch nur
endlich einmal blühen
So enthalten viele Gedichte „auf ein oder zwei Seiten kondensierte Romane“, wie man mit Peter Altenberg sagen könnte. Es sind Miniaturen einer Welt, die aus den Fugen geraten ist („out of joint“, ein Shakespeare-Zitat), in der es aber dennoch noch so etwas wie Glück gibt, und sei es nur das Glück, das richtige Wort gefunden zu haben.

 

 

 

Doris Kloimstein

Podium 215/216

 

Lunapark, Titel – Gedichte, Untertitel! Das Buch spricht mich an. Es ist mehr: Der Titel springt mich an. Ich hebe das Buch hoch, spüre: Hardcover; Ich nehme meine Fernbrille ab, schau´ genau: Zartes Himmelblau oben und Brighton Palace Pier unten; Patricia Brooks, die Autorin. Ich blättere den Lyrikband durch: 63 Gedichte. Subjektive Betrachtung, persönliche Lektüre – schlussendlich eine Rezension:
Dreiundsechzig Erzählungen auf jeweils ein Gedicht verdichtet, bedeutet Minimum dreiundsechzig Tage Lektüre, jeden Tag eines, langsam lesend nachdenkend … Auf einen Sitz fressen, das wäre wohl ihnen Gewalt antun. Diese Gewalt würde die Autorin nicht merken und das Buch nicht spüren, wäre ein Bumerang für die Leserin. Mit guten Gedichten muss man schon gut umgehen, sonst tun sie einem nicht gut.
Die Lyrik von Patricia Brooks tut einem gut in der richtigen Dosierung und ohne Zeitschaltuhr im Lesemodus besinnliche und gleichzeitig hellwache Ruhe.
Die Schriftstellerin Brooks braucht nicht extra vorgestellt zu werden, die ist bekannt in der österreichischen Literaturszene. Mit ihrem neuen Lyrikband ist ihr ein weiteres Meisterwerk gelungen. Die Begrifflichkeit ist keineswegs plakativ, sondern trifft punktgenau. Ein sehr lesenswertes Nachwort von Birgit Schwander gibt es und eine Widmung für Roxane und Morris. Und vorab eine kurze Beschreibung von der Autorin selbst: „ […] Diese Gedichte handeln von Menschen, die in Anbetracht einer aus den Fugen geratenen Welt, in der es so schwierig geworden ist, Halt und Sicherheit zu finden, in einem wippenden Zustand zwischen Klarsichtigkeit und Illusion leben. […] Sie glauben an etwas in sich, das sie verlässlich trägt, allen Widrigkeiten zum Trotz, und sie begegnen der Welt mit einer unerschütterlichen Freude am Lebendigsein.“
Ein Lunapark ist ein Vergnügunspark mit sogenannten Fahrgeschäften und Schau- und Schießbuden von Achterbahn bis Spiegelkabinett. Das Leben als Vergnügungspark zwischen Schwindel und Selbsterkenntnis, zwischen Straucheln und Höhenflügen zu beschreiben, das gelingt der Autorin mit einer traumwandlerischen Sicherheit. Und sie nimmt die Leserschaft, die willige und an Selbstreflexion interessierte, mit auf die Reise. La Luna, die Mond, schon mal unseren Sprachkosmos ins Wanken gebracht, wo wir der Mond gelernt haben und die Sonne – es ist umgekehrt und so wunderbar weiblich.
„[… ] wir nannten sie la luna / sie war eines Tages einfach da / zwischen einem Morgengebet / und einem Abendmahl / oder war es umgekehrt / wir erinnern uns nicht / sie hat sich in uns hineingeschrieben / mit verwunschenen Buchstaben …
Die Geschichten, die Patricia Brooks erzählt, verlangen nach Entschlüsselungsarbeit und die tut persönlich gut, weil wir doch alle Verirrte, Verwirrte, Verlorenen, aber auch Geleitete, Erkennende, Geborgene sind – mit nie enden wollender Sehnsucht nach lieben und geliebt werden, nach Erfolg und nach Glück.
„[… ] furchtlos an der nächsten Ecke / wartet schon der Bus / ein Pfirsichmond  und all das / Glück: ist in Betrieb“
Wir wollen, wir wollen – die Reise geht verlässlich im Kreis oder ist eine Sternfahrt oder so ähnlich, wenn man sich an Gedichten von der Art der Brook´schen entlanghangeln kann, ist es gut.
„erzähle mir ein Gedicht / für jedes Haar, das du / dir abgeschnitten und / für mich aufgehoben hast / [……… ] ich schlafe nicht gerne allein“
„Gäbe es eine Poetik nach den vier Elementen, würde Patricia Brooks´ Lyrik, noch vor dem Wasser, der Luft zugesprochen werden – deren Eigenschaft „Leichtigkeit“ in der der Kunst zum Schwersten gehört“, schreibt Brigit Schwaner im Nachwort.
Mehr kann da nicht hinzugefügt werden, nur den irdischer Nachsatz muss ich noch schreiben: Dem Verlag sei gedankt für die Publikation.