Matthias Hagedorn, Textdiebe, Feb. 2007
www.textdiebe.de

 

Was wie ein Roadmovie beginnt, endet für Richard und Gloria bereits nach einem Kapitel in einem einsamen Haus auf dem Land. Nicht nur die Geschichte ist rasant, auch die Sprache hält sich nicht mit überflüßigen semantischen Verzierungen auf. In besagtem Landhaus treffen die Flüchtigen auf ihr Spiegelbild, die Geschwister Clarissa und Phillip. Im Sog dieser hypnotischen Prosa entwickelt sich zwischen den Wahlverwandten ein Kammerspiel. Patricia Brooks zeigt die räumliche Enge, die stickige Luft des Lebendig?Eingemauert?Seins. Zu der Charakteristik eines literarischen Tabus zählt die aktive Einhegung des Themas, hier wird sie forciert betrieben. Unlängst verkündete die sogenannte Pop?Literatur das gesellschaftliche Ende von Schuld und Scham, damit solle dann auch das Grübeln als Ursprungsgestus des Erzählens zugunsten eines lockeren Plaudertons überwunden werden. Dieser fröhliche Unschuldszustand ist freilich nicht jeder Autorin vergönnt, die heute schreibt; besonders dann nicht, wenn ihn biografische Umstände fast zwangsläufig vor die alten Fragen nach Sinn und Gerechtigkeit zitieren. Patricia Brooks lässt in ihrem »Garten der Geschwister« ganz eigene Blumen des Bösen wachsen, bis diese Schlingpflanzen unentwirrbar ineinander verwachsen sind. Ihr Roman ist ein atemberaubender Text über das Befangensein in alten Strukturen, auf der Täter? und auf der Opferseite.

 

 

 

Robert Prosser, 2007

ohne Netz und doppelten Boden

zwischen Faust- und Taubenschlag ein Kampf ums reine Gewissen


Sex war ein Spiel um Macht, ein Mittel, sein Gegenüber an sich zu binden oder zu demütigen, und in Patricia Brooks neuestem Roman ist es Ursache und Wirkung innerhalb eines durchdachten Gewebes aus Hass, Schuld und Liebe, welches sich mithilfe vierer Protagonisten zu beinah undurchdringlichem Dickicht auswächst.

Anfangs jedoch scheint es sich um einen nach Schema F gestrickten Thriller zu handeln: ein Pärchen strandet nach überstürzter Flucht aus einer Stadt in einem alten Landhaus. Hier, inmitten eines verwilderten Gartens, wohnen Bruder und Schwester, deren Eltern verreist sind. Die Geschwister, beide noch Kinder, lassen aus unbekannten Gründen nichts unversucht, die zwei Gäste länger im Haus zu behalten.

Kennt man die bisherigen Buchpublikationen der österreichischen Schriftstellerin Patricia Brooks, die zwischen Poesie und Science Fiction eine individuelle Sprache fand, so enttäuscht dieses Szenario in seiner Plattheit. Bald aber wird deutlich, dass nur der Eintritt in das Geschehen so einfach war und dass Brooks auf 190 Seiten ein Spiegelkabinett entworfen hat, welches in atemberaubender Dynamik den Leser mit Bild um Bild, Ebene um Ebene konfrontiert. Man ist der Autorin unwissentlich an einen Ort gefolgt, wo herkömmliche Gesetze keine Bedeutung mehr haben und rationelle Grenzen nicht geduldet werden.

Durch Beobachtung der unmerklichsten Veränderungen im Tageslicht oder in den Gesichtzügen der Protagonisten wird ein Schwebezustand kreiert, der weitere Beteiligte einer Familientragödie aus der Vergangenheit oder der gegenwärtigen Abwesenheit auftauchen lässt und miteinwebt ins Geschehen. Garten wie Haus lassen sich zu einem Labyrinth erweitern und hinter jeder Ecke liegen neue Entdeckungen und Geheimnisse, die der Komplexität des Textes einen weiteren Spiegel hinzufügen. Zwischen Blutschande, Verführung und Abhängigkeit verfällt der Leser gemeinsam mit der Hauptfigur Gloria dem Sog der Handlung.

Diese steht in ihrer Verletzlichkeit der kühlen Berechnung der Anderen gegenüber, bleibt aber gerade wegen ihrer Sensibilität stark, da vorausahnend, sie sucht einen Ausweg und treibt die Fluchtbewegung ins Zeitlose voran, doch der Himmel macht kein Geschäft mit den Schwachen, sondern errichtet aus der Zerstörungskraft des Feuers und den Lichtverhältnissen des Februars einen Käfig, in welchem Veränderungen der Schatten Bedrohung verdeutlichen und Vorahnungen wecken? keiner Stimme, keiner Stimmung ist zu trauen,  die Sterne sind Wächter des Totenreichs und mit jeder Seite folgt eine Verschiebung der Spielsteine und der dazugehörenden Figuren, zu vielschichtig entwickelt sich der Roman, um noch zwischen Täter und Opfer unterscheiden zu können.
Querverweise und Spiegelungen zersplittern das Geschehen, selbst die Zeit an sich, die lange der einzige Halt war, wird als Faden erkannt und aufgetrennt, letztlich lösen sich sämtliche Ebenen von einer Sekunde zur anderen auf wie Dämmerlicht und ohne Netz und doppelten Boden bleibt allen Beteiligten nichts anderes übrig, als im Genuss des freien Falls zu zappeln.



Die Presse, 3.3.2007

Ausgedachte Identität

 

„Es war nicht das erste Mal, dass sie eine ausgedachte Identität hinter sich gelassen hatten.“ Damit ist der Faden geknüpft, der sich durch den Roman „Garten der Geschwister“ von Patricia Brooks zieht. Die Flucht eines Paares aus seinem eingefahrenen Leben führt zu einer Art Spiegelgeschichte. Die beiden treffen auf zwei Jugendliche, in denen sich das Paar wiedererkennt. Es entwickelt sich ein gespenstisches Kammerspiel, handlungsarm, aber athmosphärisch dicht.