Eine wilde Geschichte ist das, der erste Roman der Wiener Pop-Autorin Patricia Brooks. Eine rasende Fahrt durch die Welt des Cyberspace, dominiert von großen Konzernen. Kimberly wird in der Wüste im tiefsten Amerika von ihrer Mutter ausgesetzt, aufgezogen von warmherzigen Althippies und genährt von Musik. Nach der Ermordung ihres Ziehvaters flüchtet sie in die Großstadt, lebt vom Dreck der Straßen, wird in einem Kloster gefangen gehalten, macht später Karriere als Sängerin und gerät in ein undurchsichtiges Netz aus Widerstandskämpfern gegen die Allmacht der Cyber-Mogule. Aber vielleicht ist diese Kimberly doch nur eine Figur in einem ausgeklügelten Computerspiel? Wer weiß. Gekonnt bedient Brooks verschiedene Genres, ohne mit technischen Details der Datengesellschaft zu langweilen: Krimi, Liebesgeschichte, trashige Motive rund um Sex, Drugs and Rock'n'Roll - eine durch und durch aufregende Reise.
Nette Leute bevölkern diesen Roman, dem man nie zu trauen wagt: die Klischees glitzern und das ganz bewusst. Nichts ist, wie es scheint, und das mit voller Absicht. Man legt das Buch beiseite, genießt die sanfte Verunsicherung und hört ganz leise noch den Blues.
"Kimberly", der erste Roman von Patricia Brooks, ist, wie wenn jemand am Computer den Blues spielt. Die Musik ist erdig, das
Instrument Hi-Tech, das Ergebnis kann in seiner Widersprüchlichkeit ganz interessant sein. Als Hybrid schweißt "Kimberly"
mit ziemlicher Freude am Trivialgenre Welten zusammen, die einander grundsätzlich eher fremd gegenüber stehen. Der Roman spielt
zwar im Cyberspace, doch naiv, wer denkt, im Cyber gebe es nur Ecken, die urban und modern sind.
Wo Brooks ihre Titelheldin
herumirren lässt, sagen sich die Kakteen gute Nacht. Surfer, die sich nach Desert Zone, eine gottverlassene Wüstengegend,
verirren, hauen schnell wieder ab. Kimberly wird durch einen blöden Zufall hier geboren, weil ihre Mutter, als die Wehen einsetzten,
vergessen hat, die Escape-Taste zu drücken. Sie ist ein Findelkind. Der Althippie Dirty Daddy, der gerade cool seine Harley
Davidson durch die Landschaft schiebt, gabelt sie auf. Erst eine mächtige Daten-Company, die Geschäft wittert, zerstört die
Woodstock-Idylle (Daddy liebt Jimi Hendrix und raucht gerne Gras). Als er brutal ermordert wird, flieht die Tochter im Teenageralter,
und eine abstruse Cyber-Road-Music-Story kann beginnen, die Kimberly vom Nonnekloster in den Guerillakampf schickt.
Am
Schluß ist aus dem Straßenkind eine berühmte Country-Sängerin geworden, die ein recht beschauliches Leben führt, mit Mann
und Kindern in einem kleinen Haus mit kleinem Garten und wildwachsenden Blumen. Für die Kinder sind Beeren gepflanzt und Marihuana
für Kimberly - weil es sie an ihre Kindheit erinnert. Vielleicht aber ist alles ganz anders, und Kimberly war nur ein Bonustrack
auf einer Spiele-Software, erfunden von einem gewissen Itzo.
Sicher aber kann man über "Kimberly" sagen, dass es sich um lustvolle und gekonnte Trashliteratur handelt, die mit Versatzstücken
und Klischees locker jongliert, zugleich aber erstaunlich sympathisch altmodisch mit ihren Figuren umgeht. Sozusagen mit einem
Herz für Retro, für Blues und Rock'n Roll, für Hippies und das unaufgeregte Leben, mit guter Musik und netten Leuten um sich.
Beziehungen und Sex kommen durch die Bank ohne Cyber- Klischees aus. Und en passent wird die Musikgeschichte von Hendrix bis
Punk und Maschinenmusik abgehandelt. Ein interessanter Mix: Cyberspace mit Bodenhaftung.
Eine Geschichte so hart, als wäre sie mit einer Trennscheibe in Stahlplatten geschrieben worden. "Kimberly" von Patricia Brooks
Die Frau ist in Wien geboren und publizistisch daheim in der Wiener "edition selene". Sie hat aber noch eine zweite (geistige)
Heimat, das ist der Süden der USA. Das Wüstenland, Mittelstädte, Regionen ohne Recht und Ordnung, in denen kriminelle Großorganisationen
und Outlaws auf privat operierender Basis ihren eigenen Staat organisieren oder für Horror-Szenarien sorgen. ein konkreter
Ort: Saint Louis in Missouri.
In dieser Landschaft wächst ein ausgesetztes Mädchen heran, Kimberly. Im tiefsten Sumpf der Gesellschaft. Doch wächst sie
sich in diesem Sumpf zu einer schönen Blüte heran, die viele Stürme übersteht. Aufgezogen erst von einem Aussteiger und einer
abgetakelten Hure - in diesem Szenario jedoch kommt es zum Schimmern melancholischer Poesie. Weiterwachsend als Straßenkind
im kriminellen Kleinmilieu, am Rande der sich überschneidenden Aktionsfelder konkurrierender mafioser Clans. In einem kalt
analytisch betrachteten System: "Sie waren vernünftig genug, in Anbetracht ihrer Lage das Überleben des Tages als Erfolg zu
verbuchen, aber sie waren immer noch jung genug, um das Sterben weniger zu fürchten, als die endlose Wiederholung dieses Überlebens
ohne Sinn und Ziel, dieses Überleben um seiner selbst willen."
Aber: später Fuß fassend in eben St. Louis als aufstrebende Vokalistin in einer lebhaften Musikszene. (Die musikalische Zeit-Landschaft
der Geschichte: zwischen Jimi Hendrix und Funk ausgespannt.) Doch holt ihre Sozialgrund-Vergangenheit sie wieder ein, ihre
Spur verliert sich in Hoffnungslosigkeit. Vorderhand. Und irritierend schwenkt die Szene auf eine andere Ebene. Ist die ganze
Geschichte nur Fiktion, eine Computer-Erzählung? Entsprungen der lebhaften Phantasie fabulierfreudiger Leute?
Aber die Fiktions- und die Non-Fiction-Ebene schieben sich übereinander, die Phantasie changiert wieder in Realität, in sachten
Ausklang. Mit der kryptischen Fixierung als Bilanz: "Wer auch immer wen geschrieben hatte, jede Geschichte schrieb sich selbst,
und nichts war vorgeschrieben, bevor man es selbst schrieb. Das Leben war nichts als eine psychedelische, halluzinogene Zone.
Der Rest war nur eine Frage der Definition."
Nun, wenn schon, wie auch immer. Was für en Leser relevant bleibt: Eine ungemein harte Erzählung, komponiert wie ein Bild
des Fotorealismus. Jedes Detail absolut geformte Realität, schwingend zwischen brutalsten Szenen und zaghaft einfließender
Lyrik von hauchdünner Konsistenz, stets schnell verweht, nie Gelegenheit findend, sich zu festigen. Die Sprache hart wie die
Handlung. Geformt durch und mit scharfem Intellekt, der nicht verurteilt, nur berichtet. Der keine Entrüstung kennt und akzeptiert,
dass die zentral oder im Hintergrund handelnden Figuren ohne Moral handeln, weil sie keine brauchen. Ihre Welt ist jene der
Antimoral. Diese Welt ist existent, das muss akzeptiert werden. Punkt.
Der Text fräst sich wie harte Gitarre-Riffs ins Bewusstsein. Und klingt lange nach.